Montag, 15. August 2011

Die Revolte von Scheich Said 1925 (von Ferdinand Hennerbichler)


Aufstände gegen das Regime Atatürks
 Das Kalifat wurde in der Türkei am 3. März 1924 offiziell abgeschafft. Am selben Tag brach die republikanische Türkei auch für alle Zukunft mit der Minderheit der Kurden im Land. Ein Dekret wurde verabschiedet, das alle kurdischen Schulen, Vereinigungen und Publikationen verbot. Die kurdische Sprache wurde für illegal erklärt. Kurdische Nationalkleider wurden verboten Den Kurden wurde ihre nationale Identität genommen. Sie durften künftig nur noch "Bergtürken" nennen.
Die Kurden erhoben sich dagegen 1925 bis 1939 in einer Serie von Revolten Zum Teil waren Aufstände dabei von türkischen Truppen provoziert worden, um einen Vorwand in die Hand zu bekommen, Rebellionen der Kurden niederwerfen zu können. Berühmt wurde zunächst 1925 die Erhebung von Scheich Said. Wenige Monate später brach eine Revolte unter den Stämmen von Batman und Reskoyan zwischen Diyarbakir und Siirt aus. Sie erfasste 1926 und 1927 auch die Gebiete von Hakkari, Semdinli, Gewas, Cizre, Sason. 1928 standen auch die Bewohner von Kozluk und Perwari auf und verlangten das Ende der Unterdrückung der Kurden in der Türkei. 1928 bis 1932 wurde die Region um den biblischen Berg Ararat zum Zentrum einer großen Widerstandsbewegung. 1936 bis 1939 rebellierten schließlich die Bewohner von Dêrsim und wurden grausem niedergeworfen.

Die Revolte von Scheich Said 1925

Die Kurden hatten Ende 1922 in Erzurum ein KOmitee für die "Unabhängigkeit" der Kurden in der Türkei gegründet. Ihm gehörten kurdische Abgeordnete wie Yusuf Ziya, Offiziere wie Halid Bey aus Cebran, Intellektuelle, Künstler und Geschäftsleute an. Auch hochrangige kurdische Militärs wie Ihsan Nuri Pascha, die bisher Ankara gedient hatte, schlossen sich der Unabhängigkeitsbewegung an. 1923 bis 1924 plante das Komitee eine nationale Erhebung der Kurden. Es nahm Kontakte mit Stammesführern, religiösen Persönlichkeiten und auch mit kurdischen Emigranten in Istanbul und Aleppo auf, ebenso mit türkischen Gegnern der Kemalisten. 1924 flog die geplante Revolte jedoch auf. Um Bitlis brach plötzlich eine Revolte aus. Die türkische Regierung nahm sie zum Anlass gegen die Aufständischen vorzugehen und ihre Erhebung zu zerschlagen. Im Oktober 1924 wurden Führer des Aufstandes wie Yusuf Ziyxa und Hauptmann Halid Bey in Bitlis vor ein Kriegsgericht gestellt. Zu dieser Zeit übernahm Scheich Said von Piran die Revolte. Scheich Said begann, die Gebiete um Elazig, Diyarbakir, Genc und Darahini zu bereisen und rief die Kurden auf, sich gegen Ankara zu erheben. Die türkische Regierung bekam davon Wind und bemühte sich, eine vorzeitige Revolte der Kurden zu provozieren, um sie mit aller Wucht weitgehend unvorbereitet niederwerfen zu können. Die türkische Armee schickte in der Tat auch einen Stoßtrupp in das Dorf Piran mit dem Befehl, Scheich Said und seine Anhänger zu verhaften. Aufgebrachte Dorfbewohner ermordeten jedoch die türkische Einsatztruppe in Piran. Damit wurde vorzeitig eine Großrebellion ausgelöst. Scheich Said versuchte zwar noch, das Steuer herumzureißen und zog Richtung Norden, bevor er aber noch in Darahini eintraf, hatten die Kurden der Stadt bereits vom Scharmützel in Piran erfahren und nahmen alle türkischen Soldaten von Darahini gefangen. Ab diesem Zeitpunkt nahmen die Kampfereignisse ihren Lauf. Scheich Said wurde geradezu in einen Aufstand gedrängt. Am 25. Februar 1925 wurde der Scheich zum "obersten Führer der Kämpfer" ausgerufen. Die rebellierenden Kurden beschlossen auch ein "Gesetz", mit dem die Stadt Darahini zur provisorischen Hauptstadt Kurdistans erklärt wurde. Die Peschmergas des Scheichs eroberten am 26. Februar 1925 die strategisch wichtige Stadt Elazig, das kurdische Kharput, und entwaffneten die gesamte Garnison. Wenig später belagerten die Kurden auch Diyarbakir, eroberten Gebiete nördlich des Wan-Sees bis zum Ararat und nahmen Bitlis. Bevor sie in Bitlis einmarschierten, hatten die türkischen Behörden der Stadt alle Kurdenführer im Lokalgefängnis hinrichten lassen, unter ihnen Yusuf Ziya und Halid Bey.
Ankara trat daraufhin zum Gegenangriff gegen die Aufständischen an und verlegte rund 80.000 Mann nach Kurdistan. Frankreich half der türkischen Armee und ließ sie die koloniale Eisenbahn um Aleppo und den Norden Syriens benutzen, um die Kurden nachdrücklicher bekämpfen zu können. Die türkische Armee kesselte Scheich Said und dessen Truppen schließlich in Diyarbakir ein. Daraufhin brach die Revolte des Scheichs Mitte April 1925 zusammen. Ankara nahm blutige Rache. Scheich Said wurde am 4. September 1925 zusammen mit 52 Mitkämpfern in Diyarbakir gehängt. Bis in den Herbst 1925 wurden auch in ganz Kurdistan Aufständische ermordet und zum Teil meuchlings erschlagen, um den Kurden eine blutige Lektion zu erteilen, an die sie sich erinnern sollten, wie Propagandisten der türkischen Armee damals erklärten
Die Erhebung von Scheich Said war eine nationale Revolution der Kurden in der Türkei. Um Massen zu mobilisieren, hatte der Scheich aber in erster Linie  an religiöse Ziele des Islam der Vergangenheit appelliert. Scheich Said kämpfte dabei für die Wiedererrichtung des Kalifats, um den Kurden zu nationalen Rechten zu verhelfen, und nahm es dafür entschieden mit den türkischen Republikanern auf. Das hatte historische Gründe. Zum einen spekulierte Scheich Said, religiöse Traditionen wären in der Türkei noch stärker als die damals moderne Infrastruktur der türkischen Republikaner unter Kemal Atatürk. Said erhoffte daher von Kräften des Islam für die Kurden stärkere Impulse als von den Republikanern mit umstrittener Zukunft. Zum anderen stand für die Kurdenführer wie Scheich Said Mitte der zwanziger Jahre bereits fest, dass die Kurden unter dem Kalifat im Namen des Islam zumindest einige Minderheitsrechte zugestanden bekommen hatten, während die Republikaner seit 1924 darangegangen waren, den Kurden ihre nationale Identität zu nehmen und ihnen verboten hatten, sich auch nur Kurden zu nennen. Die alte Problemlösung schien Said und seinen Anhängern daher noch allemal besser als alles, was sie von den Kemalisten an nationaler Zukunft zu erwarten hatten. Aus der Sicht der damaligen Zeit schien für die Kurden daher die Vergangenheit unter der Schirmherrschaft des Islam besser gewesen zu sein als eine Zukunft unter den Republikanern, die sie zu assimilieren drohten. Scheich Said mobilisierte deshalb religiöse Sentiments im Namen des Islam und warnte vor der Gefahr, die der Staat Atatürks für die Kurden haben würde. Er tat dies aber nicht, weil er so rückständig gewesen wäre, sondern weil er sich mit Kräften des Islam gegen eine Zukuft unter Republikanern verbünden wollte, die Unheil für die Kurden gebracht hatten Generell war seine Revolte jedoch eine nationale Bewegung, die den Kurden in der Türkei Minerheitenrechte brignen sollte.
Franzosen und Briten haben in diesem Aufstand nicht unwesentlich mitgemischt. Die Franzosen erlaubten den Türken, die Eisenbahn in Nordsyrien zu benutzen, um die Kurden in Diyarbakir umzingeln zu können. Die Briten hatten zahlreiche Agenten in Kurdistan. Diese sollten dazu beitragen, dass die Kurden als Faktor der Instabilität in der Region niedergeworfen würden und keine Gefahr mehr für den in Lausanne ausgehandelten neuen Status quo im Nahen Osten darstellen könnten. Franzosen und Briten waren auch bestrebt, die Sowjets daran zu hiindern, in die Revolte einzugreifen und den Kurden zu Hilfe zu kommen.
Der Niederschlagung des Aufstandes von 1925 folgte eine rigorose Unterdrückungswelle der Türken gegen die Kurden. Die Armee wurde zu Säuberungswelle beordert. Diese zogen sich bis 1928 hin. Ihr fielen auch annähernd eine Million Menschen zum Opfer, die aus Kurdistan deportiert wurden. Zehntausende starben dabei an Unterernährung und Krankheiten auf dem Weg in das aufgezwungene interne Exil. Weittragende Folgen hatte auch ein neues Gesetz, das nach 1925 der Polizei praktisch uneingeschränkte Vollmacht gab, gegen "Organisationen, Bewegungen und Publikationen" vorzugehen, die "geeignet" schienen, "Sicherheit, Frieden und soziale Ordnung des Landes zu stören und der Reaktion und der Revolte zu dienen". Ankara benutzte dieses Gesetz, um gegen die Opposition in der Türkei
generell zuzuschlagen. Bis heute wurden aber vor allem Kurden Opfer dieser Bestimmungen.

Quelle: Die für die Freiheit sterben. Geschichte des kurdischen Volkes, Ferdinand Hennerbichler, 1988

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

  © Blogger template 'Minimalist H' by Ourblogtemplates.com 2008

Back to TOP